Top 500 Tirol

Top 500 Tirol

Unsichere Zukunft

Tourismus. Trotz der unzähligen Touristen, die Tirol besuchen, sind Nächtigungszahlen und Umsätze in der Tourismusbranche erstmals rückläufig. Teure Investitionen, starke Konkurrenz, fehlender Nachwuchs und unübersichtliche Angebote sind oft das Problem. Experten sehen für die Zukunft eine spannende, aber positive Entwicklung.

Der Winter naht und damit die Hochsaison für den Tiroler Tourismus. Jährlich strömen Millionen Urlauber aus aller Welt nach Tirol, um die einzigartige Bergkulisse, die landschaftliche Schönheit und eine Mischung aus Moderne und Tradition zu erleben. Doch der Schein des Touristenparadieses mit in Watte gepackten Winterlandschaften und idyllischen Bergkulissen trügt. Laut aktuellen Zahlen der Wirtschaftskammer Tirol stagnierte 2014 erstmals die Auslastung der Betten. Ein gefährlicher Trend für die Tiroler Wirtschaft. Derzeit gibt es 23.098 Beherbergungsbetriebe (ohne Campingplätze) mit einer Gesamtkapazität von 350.791 Betten in Tirol. Viele Regionen leben vom Tourismus und nicht selten zeigt sich in manchen Gebieten in der Nebensaison ein Bild von ausgestorbenen Dörfern. Der größte Teil der Betriebe sind Hotels – 5804, gefolgt von nahezu 5000 Privatquartieren und etwa 3500 Ferienwohnungen. Tirol ist damit das Bundesland mit den meisten Unterkunftsmöglichkeiten österreichweit, wobei jährlich neue Betriebe dazukommen. Die große Anzahl und Vielfalt an Nächtigungsmöglichkeiten ist dem ständigen Ausbau der Tiroler Tourismusbranche zu verdanken und den kontinuierlichen Gewinnsteigerung in den vergangenen Jahrzehnten. Diese Entwicklung scheint nun erschöpft. 2014 verzeichnen die Unterkünfte erstmals rückläufige Zahlen, sowohl bei der Auslastung als auch bei der Aufenthaltsdauer.

Teufelskreis der fehlenden Investitionen

Die schwächelnde Wirtschaftslage und der hohe Konkurrenzdruck der vergangenen Jahre haben laut Experten erstmals zu einer Stagnation der Zimmerpreise geführt. Die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) rät den heimischen Beherbergungsbetrieben dringend von neuen Ausgaben ab. „Wir warnen unsere Betriebe davor zu investieren“ sagt ÖHV-Sprecher Michael Stanits. Die Hoteliers können sich die hohen Ausgaben kaum mehr leisten und mit neuen Belastungen im Zuge der Steuerreform wird der Gewinn zusätzlich geschmälert. Clemens Westreicher, Gründer der WESTREICHER CONSULTING und Begleiter von Ferienhotels im Alpenraum in Fragestellungen zur strategischen Unternehmensentwicklung und Nachfolge, ist davon überzeugt, dass der Grund für die vorliegenden Entwicklungen vielschichtiger sind.

„Grundsätzlich wachsen erfolgreiche Betriebe. Damit verbunden sind üblicherweise Investitionen in neue Produkte, in die Infrastruktur und in die Dienstleistungen“, stellt Westreicher fest. „Es zeigt sich jedoch, dass sich Investitionen im Tourismus häufig nicht aus den erwirtschafteten Rückflüssen amortisieren.“ Fehlende Investitionen verringern jedoch die Wettbewerbsfähigkeit und die Preisdurchsetzung. Folglich sinkt die Ertragskraft (weiter) und es können keine Überschüsse zum Investieren erwirtschaftet werden . Ein Teufelskreis, der sich laut Westreicher nur schwer durchbrechen lässt. Gleichzeitig ist der Druck auf die Betriebe hoch. Für viele ist der Preis das einzige Verkaufsargument. Dieser Preisdruck wirkt sich auf die gesamte Branche im betroffenen Gebiet aus. Ein weiteres Problem sieht Westreicher in der sich zunehmend öffnenden Finanzierungslücke. Diese Lücke – die Differenz zwischen dem Geld, das zur Verfügung steht, und jenem Geld, das für Ausgaben benötigt wird – zu schließen, ist laut Westreicher die große Herausforderung der kommenden Jahre. Möglichkeiten für Unternehmen, dies erfolgreich zu tun, gibt es einige“, ist er überzeugt. „Es müssen neue rentable Projekte aufgespürt werden, um die Ertragskraft ins richtige Verhältnis zum Investitionsvolumen zu setzen. Darüber hinaus könnte eine Senkung der Baukosten durch Anpassung und Weiterentwicklung der Bauordnung und sonstiger baurelevanter Auflagen eine Erleichterung herbeiführen. Schlussendlich müssen von der Politik die Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden, die neue Finanzierungsmodelle, wie beispielsweise ,buy to use and let‘ zulassen“, folgert Westreicher.

Unübersichtlich für Endverbraucher

Mit einem unübersichtlichen und verästelten Auszeichnungssystem steigt der Druck auf die Unternehmen zusätzlich. Kaum eine Unterkunft ist heute nicht mehr ausgezeichnet, doch für eine bessere Bewertung muss investiert werden. Diese „überlebenswichtigen“ Ressourcen für eine Wertsteigerung fehlen. Die Klassifizierungs- und Kategorisierungssysteme für Tiroler Unterkünfte sind komplex, denn jährlich werden neben Sternen auch zahlreiche weitere Auszeichnungen wie Blumen, Edelweiß oder Lilien vergeben. Trotz der allgemein strengen Auflagen für Auszeichnungen sind, besonders in der Auffassung der Endverbraucher, Sterne immer noch die bei Weitem wichtigste und bedeutendste Auszeichnung. Über 85 Prozent aller Touristen kennen und schätzen die Kategorisierung in Sternen. Stiefmütterlich werden dagegen andere Auszeichnungen behandelt. Westreicher folgert, dass sich eine gewisse Verunsicherung breitmachen könnte: „Dies wiederum erhöht den Erklärungsbedarf was zusätzliche Ressourcen bindet und damit Kosten verursacht“, ist er überzeugt. „Zudem wird allenfalls eine Erwartung bei den Gästen geweckt, die der Betrieb so nicht erfüllen kann. Folglich leidet die vom Gast wahrgenommene Qualität und die Bewertungen sinken“.

Erfolgreiche Destinationen stärken

Die rückläufige. Auslastung der Beherbergungen in Tirol muss differenziert betrachtet werden. Von den 279 Gemeinden in Tirol zeigen 143 eine negative Entwicklung bei den Übernachtungen und dem Bettenangebot im Zeitraum von 2010 bis 2012. In anderen Regionen wiederum gibt es einen Anstieg. Westreicher schließt daraus, dass der Tourismus in Tirol flächendeckend nicht funktioniert. „Es gibt sehr erfolgreiche Destinationen und es gibt weniger erfolgreiche. Destinationen. 25 Gemeinden in Tirol verzeichnen 50 Prozent der gesamten Übernachtungen bzw. 50 Gemeinden in Tirol verzeichnen 70 Prozent der gesamten Übernachtungen. Damit entfallen 30 Prozent der gesamten Übernachtungen auf die übrigen 229 Tiroler Gemeinden“, erklärt Westreicher. „Ergänzend dazu ist festzuhalten, dass Übernachtungen nur die Hälfte des touristischen Wirtschaftens darstellen. Die andere Hälfte bildet der Preis, der für die Übernachtungen erzielt werden kann.“ Die Herausforderung der kommenden Jahre wird es sein, manche Regionen weiter zu stärken und andere Regionen zu stützen. „Wichtig ist es, nachhaltige Perspektiven für die touristisch schrumpfenden Regionen zu entwickeln und einen begleitenden Marktausstieg nicht mehr marktfähiger Betriebe politisch zu unterstützen“, sagt Westreicher. Diese Entwicklungen zeichnen eine günstige Prognose für bereits starke Regionen, die zukünftig noch stärker werden. „Das ist gut so“, ist sich Westreicher sicher. „Tourismus soll dort passieren, wo er funktioniert, auch ohne Förderungen. „Jene Regionen, die schrumpfen, sowohl im Angebot als auch in der Nachfrage, sollten neue potenzial- und wertschöpfungsorientierte Perspektiven entwickeln. Hier spielt auch die Politik eine wichtige Rolle. Diese Problemstellungen zu erkennen und frühzeitig nach Alternative zu suchen, ist nun auch ihre Aufgabe. Westreicher sieht außerdem bei der Betriebsnachfolge große Herausforderungen auf die Unternehmen zukommen. „Viele, die gern aufhören würden, können das aufgrund der Rahmenbedingungen nicht. Wenn die persönlichen und finanziellen Reserven aufgebraucht sind, scheiden diese Betriebe ,ungeordnet‘ aus dem Markt aus. Übrig bleiben zum Teil touristische Ruinen mitten im Ortszentrum, die Gastgeberfamilien sind ruiniert, die Destination beginnt, touristisch langsam zu sterben. Die Nachfolge in den Betrieben wird für die Betriebe selbst und die Destinationen spielentscheidend werden“, argumentiert Westreicher. Julia Wolfschütz

ZUR PERSON

Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien übernahm Clemens Westreicher die Geschäftsführung des elterlichen Vier-Sterne-Hotels Furgler in Serfaus und leitete dieses bis zur erfolgreichen Nachfolgelösung innerhalb der Familie. Westreicher war mehrjährig als Berater sowohl in Österreicher als auch in der Schweiz tätig und leitete die Vamed Vitality World. 2010 gründete der Serfauser die WESTREICHER CONSULTI NG und begleitet seitdem Ferienhotels im Alpenraum in Fragestellungen zur strategischen Unternehmensentwicklung und Nachfolge. Zudem erstellt Westreicher gerichtliche und private Gutachten.

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