Die Vermessung des Skiurlaubs: »Es gibt keinen Plan B«
Wie gehen Skiorte mit ihrem Erfolg um? Und mit Gästen, die vieles außer Skifahren wollen? »Die Presse am Sonntag« hat sich umgehört. Von guten alten Zeiten, Bausünden, faulen Gästen, fehlenden Alternativen und dem Kampf um die meisten Pisten. “ VON ANTONIA LÖFFLER
Die Vermessung des Skiurlaubs: »Es gibt keinen Plan B«
Alles hat seine Schattenseite“, sagt Christian Gappmayr. Selbst so eine Weltmeisterschaft, wie Schladming sie 2013 erlebte. Mit der WM sei der Still-stand im Ortgebrochen gewesen. 400 Mio. Euro an privaten und öffentlichen Geldern flossen in kurzer Zeit in Hotels und Apartments. Schladming hatte es in die Oberliga geschafft, man brauchte mehr Betten. „So authentisch wie früher ist es nicht mehr. Man hat vor allem geschaut, dass Gäste kommen und zu wenig in die Qualität investiert“, sagt Gappmayr, der 2005 das 400 Jahre alte „Posthotel Schladming“ im Ortskern übernahm. Das war eine bewusste Entscheidung: „Wenn du in der Region leben willst, hast du genau zwei Möglichkeiten. Du lernst ein Handwerk oder gehst in die Hotellerie.“ Und die müsse jetzt stärker auf Qualität setzen.
Wie am Empire State Building. Mathias Schattleitner hat schnell Zahlenparat: 80 Prozent der Wertschöpfung und zwei Drittel der Arbeitsplätze hängen am Tourismus, sagt der Chef des Tourismusverbands Schladming-Dachstein. In einem Jahrzehntsprangen die Nächtigungen von 2,5 auf 3,6 Millionen pro Jahr. „Natürlich gibt es ein paar Tage, wo wirklich viel los ist. Der Dachsteingletscher ist das ganze Jahr über wie das Empire State Building: Da brauche ich mich nicht wundern, dass ich nicht allein bin. “Von „Overtourism“ spricht er aber so ungern wie seine Kollegen in anderen erfolgreichen Winterdestinationen.
„Das Gesamtkonzept muss man nicht infrage stellen“, sagt er. Die Gäste im Talwürden sich nicht auf den 123 Pistenkilometernstauen, obwohl die Abfahrten nicht mit dem Boom im Tal mitwuchsen. Schattleitner hat eine einfache Erklärung: Wer im Ort ein Zimmer bucht, fährt nicht unbedingt Ski – zumindest nicht den ganzen Tag wie zu den Zeiten, als Wolfgang Ambros den Volkssport besang. Während man vor zwanzig Jahren eine halbe Stunde mit Anstehen und Hinauffahren verbrachte, dauert die Prozedur heute fünf Minuten. „Aber die Leute werden nicht sportlicher, also reicht es ihnen früher.“ Was wiederum bedeutet: Sie wollen anderswo unterhalten werden – in Hütten, auf Sonnenliegen, in Snowparks und in weitläufigen Wellnessarealen.
Das kostet. Nicht jedes Skigebiet kann mithalten, sagen Experten. „Hotspots wie Saalbach, Arlberg, Zell am See, Kitzbühel oder Schladming entwi-ckeln sich weiter.Diese Speerspitze bewegt sich weg und der Mittel- und Endbereich wird dünner, weil der Investitionszug fehlt“, sagt Thomas Reisenzahn von der Beratungsfirma Pro-dinger. Tourismusexperte Clemens Westreicher gibt ihm recht. Die großen Skigebiete würden stetig Gäste, Investitionen und Einnahmen auf sich konzentrieren. Für Tirol hat er die Entwicklung in eine Grafik gegossen – da bewegten sich die Kugeln der großen und kleinen Regionen zwischen 2000 und 2015 gefährlich weitauseinander.
Isabella Dschulnigg hat wenig zu befürchten. Sie führt nicht nur Hotels, Bars und Hütten in und um den zugkräftigen Salzburger Wintersportort Saalbach, sondern auch die Geschäfte der Seilbahnen Saalbach-Hinterglemm. Sie sei selbst immer eine Spur erstaunt, wenn ihre Gäste die Zahl der Pisten als das kaufentscheidende Argument nennen. Aber mit 270 Kilometern präpariertem Weiß vor der Tür schadet das nicht. Wenn kommendes Jahr die Verbindung nach Zell am See öffnet, könne das niemand mehr an einem Tagfahren. Aber die Gäste freue eben die Auswahl. Und Saalbach-Hinterglemm-Leogang-Fieberbrunn kann mit noch einem Namen in der Marke werben.
Dschulnigg hat aufgehört, die Motivation der Gäste zu hinterfragen. „Wir haben so viele Skandinavier hier, die daheim selbstgenug Schnee hätten“, sagt sie lachend. Dennoch kämen sie für die Party im Schnee zu ihnen. Und man empfange sie natürlich mit dem nötigen Rahmen: Live-DJs auf der Alm, Hüttengaudi, Disco und Gourmetessen. „Das Programm Germknödel und Pommes gab es bei uns früher einmal“, sagt sie. Zwischen 1945, als der Großvater gemeinsam mit anderen Pionieren den Amerikanern den ersten Motor für einen Schlepplift abkaufte, und dem Jahr 2019, sind die Ansprüche der Gäste ordentlich gestiegen. Im Vorjahr habe ihr Verbund rund 60 Mio. Euro in den Komfort der Lifte, in die Beschneiung und sonstige Annehmlichkeiten am Berg investiert. Anstehen soll dank neuester Technik passé sein. Ist ein Lift zu langsam, wird er vor der Zeit ersetzt –und wie jüngst ins Mürztal verkauft, wo es weniger voll ist.
Erik Wolf, Geschäftsführer des Fachverbands der Seilbahnen, schätzt, dass nur wenige Betriebe das Gros der jährlichen Investitionen von zuletzt 600 Mio. Euro stemmen. „Die Kleinen kommen in dem Ausmaß nicht mit. Wir wissen, dass wir in einem verstärkten Wettbewerb stehen und der Kuchen jährlich nicht gewaltig wächst.“ Die Zahl der Skifahrer bewegt sich seit einigen Jahren mehr seit- als aufwärts.
Die finanziell potenten, bekannten Namen würden dafür aber die Weltspitze markieren. „Ich möchte dort die Gefahr von Overtourism nicht ausschließen, aber ich sehe das Phänomen Hallstatt zurzeit nicht auf unseren Pisten.“ Den Grund sieht Wolf wie Schattleitner aus Schladming im Gästeverhalten: „Heute bewegt man sich nicht auf Teufel kommraus auf der Piste. “Zu glauben, man könne das Skifahren aber irgendwann ganz durch Kulinarik und Sonnenliegen ersetzen, sei gefährlich. Zwei Drittel der Wintergäste kämen laut Umfragen nach wie vor dafür nach Österreich. „Es gibt keinen Plan B. Schön wohnen und Wellness machen, kann ich woanders auch.“ Andreas Steibl, Tourismuschef des noblen Tiroler Skiorts Ischgl, sieht das ähnlich. Sein Dorf habe die höchste Dichte an 4- und 5-Stern-Häusernin Österreich, nach Wien auch die höchste Dichte an Gourmetlokalen. „Die Inszenierungskette darf keine Schwachstelle aufweisen.“ Für die Mischung ausgediegenem Après-Ski, Einkehrschwüngen und Abendevents komme der Gast. „Aber ohne das Skigebiet würde es nicht funktionieren. Das wäre wie Ibiza ohne Meer.“
Hotelier Markus Kathrein hat in seinem Büro ein Foto stehen. Darauf sieht man einen alpinen Heimatort in den Vierzigern. Da hatte sein Großvater gerade das Gästehaus „Fernblick“ gebaut. Highlights in den Nachkriegsjahren waren warmes Wasser und – ab und zu – Elektrizität im Zimmer. Das „Fernblick“ gibt es längst nicht mehr. Kathrein und seine Frau betreiben heute an seiner Stelle in dritter Generation das Luxushotel „Solaria“. Während Ort und Skigebiet ab den Siebzigern einen Boom erlebten, machte sein Vater das, was alle Nachbarn machten: Ausbauen. Zuerst kamen die Massen, später das Image als Nobelskiort und die Zahl der Sterne an den Hoteltüren stieg, sagt Kathrein.
An die Bauernhöfe der Vierziger erinnere heute nicht mehr viel. Mittlerweile gebe es auch keinen Sommer, in dem nicht rege Bautätigkeit herrsche. Auch im eigenen Hotel habe er in zwanzig Jahren vielleicht zwei ohne Renovierungen verbracht. Der Gast fordert eben höchste Qualität. Nostalgisch ist Kathrein beim Blick auf das Foto aber nicht. „Der Österreicher hat die Angewohnheit, in der Vergangenheit zu schwelgen. Ich bin eher der Zukunftsmensch“, sagt er pragmatisch.
Was er sich für Ischgl zukünftig wünscht? Schnee. Schließlich würden seine Gäste noch fast alle Skifahren. Der Wunsch dürfte auf 1377 Höhenmetern noch eine Weile erfüllbar sein.