Nachfolgetrend: Geschwister übernehmen gemeinsam
Nachfolgetrend: Geschwister übernehmen gemeinsam
Hotelübernahme allein oder gemeinsam
Österreichs Hotellerie steht vor einer Übergabewelle. Was bewegt potenzielle Nachfolger:innen, wenn sie vor der Übernahme des elterlichen Betriebs stehen? Der nachfolgende Auszug aus dem Tagebuch einer Übernehmerin thematisiert ausgewählte Fragen zur betrieblichen Nachfolge.
Mein Freund aus der Volksschule
Liebes Tagebuch. Seit mehr als fünf Jahren führe ich nun mein Hotel. Wie schön das klingt: Mein Hotel. Und wie es scheint, läuft’s ganz gut. Die Gästebewertungen auf den diversen Plattformen sind top und meine Steuerberaterin kann meine „Zahlen“ fast nicht glauben. Zwischenzeitlich fand ich auch mein persönliches Glück und ich erwarte unser erstes Kind.
Die Zusammenarbeit mit meinem Bruder, dem Küchenchef, und seiner Gattin, der Serviceleiterin, läuft gut. Und die gemeinsamen Mittagessen mit den Eltern, meinem Bruder, seiner Frau und ihren beiden Kindern sowie meinem Lebenspartner sind mir wichtig, um den familiären Zusammenhalt zu pflegen und zu stärken. Und meine Eltern? Die genießen die Rolle der Senioren, ohne weiterhin aktiv im Hotel mitzuarbeiten.
Wie du aber aus der Zeit rund um die Übergabe und der ersten Zeit danach sicher noch gut in Erinnerung hast, liebes Tagebuch, war das nicht immer so. Der Weg war steinig. Eigentlich hieß es seit je her, mein Bruder übernimmt das Hotel. Mein Stiefbruder hingegen empfahl, das Hotel aufgrund der zu geringen Rendite und des hohen Risikos zu verkaufen. Und meine eine Schwester, die Lehrerin in der Stadt, wollte Anteile am Hotel, ohne jedoch im Hotel mitzuarbeiten. Meine jüngste Schwester, damals noch in Ausbildung, hatte nur ein Interesse: Wie viel werde ich erben und wie lange kann ich davon leben. Das alles liegt zum Glück schon lange zurück.
Die große Überraschung des heutigen Tags war das Wiedersehen mit Jakob, einem lieben Freund aus der Volksschule. Leider verloren sich unsere Weg nach der Volksschule. Ich besuchte das Gymnasium und studierte Wirtschaftsinformatik. Er besuchte die Hauptschule, startete eine Kochlehre und verbrachte seine Lehr- und Wanderjahre in den besten Häusern im In- und Ausland. Das Letzte, was ich aus einer Fachzeitungen erfuhr, war, dass Jakob zum Hoteldirektor in einem renommierten Hotel irgendwo in Asien bestellt worden war. Und heute läuft mir Jakob in unserem Dorf über den Weg. Beim Kaffee meinte Jakob so nebenbei, dass er zurück sei, um die Nachfolge im elterlichen Hotel anzutreten. Er, der international erfolgreiche Hoteldirektor, will zuhause übernehmen? Das in die Jahre gekommene Hotel? Das Hotel, das seine betagte Mutter mit seiner älteren Schwester und seinem jüngeren Bruder führt? Ich bin sprachlos.
Da ich leider zu meiner Architektin musste, um den nächsten Umbau zu besprechen, vereinbarten wir ein Abendessen in der kommenden Woche. Beim Hinausgehen erwähnte Jakob noch zwischen Tür und Angel, dass er gehört habe, dass unsere Übergabe damals so super gelaufen sei. Und dass er froh wäre, wenn ich ihn an meinen Erfahrungen teilhaben lasse. Er wisse von seiner Mutter, dass mein Bruder und meine Schwägerin bei mir im Hotel mitarbeiten und dies, obwohl mein Bruder am Hotel nicht beteiligt ist. Bei ihnen sei geplant, dass sie zu dritt das Hotel übernehmen, also er und seine beiden Geschwister zusammen.
Meine erste innere Reaktion: Das funktioniert niemals. Nicht viel später musste ich schmunzeln. Waren dies nicht auch die Worte meiner besten Freundin, als ich ihr mitteilte, dass ich nicht als Software-Entwicklerin nach Berlin gehen werde, sondern das elterliche Hotel übernehme? Ich möchte diese Entscheidung niemals missen! Umso mehr bin ich bereit, an Jakob meine Erfahrungen weiterzugeben.
Konflikte als Zeichen des Übergangs
Ist unsere Übergabe wirklich so gut gelaufen, wie Jakob dies von seiner Mutter gehört hat? Dass ich heute unser Hotel führe und alleinige Eigentümerin bin, war für alle nicht vorhersehbar. Am allerwenigsten für mich selbst. Eigentlich war ich damals schon auf dem Sprung nach Berlin, als Papa unsere Familie inklusive meines Stiefbruders zu einem Gespräch einlud. Thema des Gesprächs: Die Nachfolge in unserem Hotel. In diesem Gespräch lies mein Bruder dann auch die Bombe platzen und hielt fest, dass er das Hotel nicht übernehmen wolle.
Die folgenden Gespräche waren sehr emotional und für alle nicht einfach. Zum Glück einigten wir uns darauf, dass wir uns von einem unabhängigen Berater begleiten lassen. Ich erinnere mich gut an den Eiertanz, bis jede und jeder klar und offen seine Vorstellungen im Hinblick auf die Übergabe und den potenziellen Anteil am Erbe formulierte. Für mich brach eine Welt zusammen, wollte ich doch hinaus in die große weite Welt und mich in künstlicher Intelligenz weiter fit machen. Das Hotel meiner Eltern und unser kleines Dorf standen nicht in meiner Lebens- und Karriereplanung.
Die Vorstellungen meiner Geschwister an ihren – wie sie sagten – gerechten Anteil am Erbe waren nicht nur für mich nicht nachvollziehbar. Das Hotel gehörte meinem Papa und das Hotel machte nahezu 100 Prozent seines Vermögens aus. Und nach Abzug der Bank- und Investitionsschulden blieb nicht wirklich viel übrig. Mama besaß selbst nicht viel und alles, was die beiden verdienten, steckten sie wieder in das Hotel und in unsere Ausbildungen. Dass dann meine Schwester auch noch Anteile am Hotel wollte, ohne jedoch im Hotel mitzuarbeiten, führte ich nicht so sehr auf sachliche Gründe zurück, sondern eher auf Eifersucht, Neid und Zurücksetzung. Zudem machte mir die Bedingung meines Bruders, dass er und seine Frau auch nach der Übergabe im Hotel mitarbeiten wollen, meine Entscheidung, das Hotel zu übernehmen, anfänglich auch nicht leichter.
In diesen Auseinandersetzungen um das gerechte Erbe gewann ich den Eindruck, dass unsere Eltern zu sehr auf uns Kinder schauten. Denn die Bedürfnisse nach Sicherung ihres Lebensstandards nach Übergabe des Hotels gingen anfänglich gänzlich „verloren“. Erst die Erläuterungen des Beraters bezüglich des Unternehmenswertes vor und nach Berücksichtigung aller Wünsche an das Erbe öffnete uns die Augen, was tragfähig ist und was nicht. Dennoch bedurfte es weiterer, emotionaler Runden, bis alle der Übergabe zustimmten und letztlich auch den Übergabevertrag samt Pflichtanteilsverzichte unterschrieben.
Die tatsächliche Übergabe begann für mich dann nach meiner Unterschrift unter die Verträge. Dass ich von heute auf morgen alleinige Eigentümerin und Geschäftsführerin war, ist das eine. Das andere war und ist die Zusammenarbeit mit meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwägerin. Alle fühlten sich irgendwie für alles verantwortlich und dann doch wieder nicht. Bis wir geklärt hatten, wer was macht bzw. wer was nicht mehr macht, verging gut ein Jahr und benötigte mehrere, emotionale Gesprächsrunden und tägliches Üben.
Von bleibender Erinnerung ist mir zudem die Diskussion mit meinem Bruder bezüglich der Neuausrichtung unseres à-la-carte-Restaurants. Lautstark teilte er mir mit, dass ich als Studierte ja keine Ahnung vom Restaurantgeschäft hätte, und wenn mir nicht passe, was und wie er koche, könne er ja auch gehen. Letztlich rauften wir uns einmal mehr zusammen und entwickelten gemeinsam ein cooles Restaurant-Konzept. Dieser Streit brachte die bessere Lösung, wenngleich ich als Eigentümerin die Entscheidung auch allein hätte treffen können. Der Preis dafür wäre vielleicht gewesen, dass ich meinen Küchenchef, der ja auch mein Bruder ist, kündigen hätte müssen und damit wahrscheinlich auch meine Serviceleiterin, meine Schwägerin, verloren hätte.
Wenn ich rückblickend unsere Übergabe betrachte, scheint mir, dass es ein kleines Wunder ist, dass diese überhaupt zu Stande kam und dass das Hotel heute gut läuft, trotz der kleineren und größeren Reiberein mit meinem Bruder. Oder sollte ich lieber sagen, wegen der Reiberein. Denn irgendwie schaffen wir einen produktiven Umgang mit diesen Reibereien. Und vor dem Hintergrund der bevorstehenden Geburt meines ersten Kindes bin ich eigentlich ganz froh, dass mein Bruder im Hotel ist und ich mich auf ihn verlassen kann.
Liebes Tagebuch. Einmal mehr kritzle ich meine Gedanken so dahin, wie sie kommen. Ich bin schon gespannt, welche Fragen Jakob beschäftigen. Gespannt bin ich auch, wie Jakob, seine Mutter und seine Geschwister ihr Hotel bezüglich Führung und Eigentum organisieren wollen. Auf jeden Fall schätze ich es, dass Jakob mich in dieser sensiblen Sache angesprochen hat. Ich freue mich, dass das Hotel, wie es scheint, in der Familie weitergeführt wird und nicht – wie ich aus der Gerüchteküche auch schon hörte – als Mitarbeiterhaus verkauft werden soll.
Der nebenstehende Artikel erschien in der Printausgabe von hotel und touristik essenz 02/23 und kann hier heruntergeladen werden.
Die frühere H&T Nachfolgeserie „Wie bringe ich das alles unter einen Hut?“ finden Sie hier