Nachfolgetrend: Geschwister übernehmen gemeinsam
Nachfolgetrend: Geschwister übernehmen gemeinsam
Österreichs Hotellerie steht vor einer Übergabewelle. Was bewegt potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger, wenn sie vor der Übernahme des elterlichen Betriebs stehen? Der nachfolgende Auszug aus dem Tagebuch einer Übernehmerin zeigt ausgewählte Fragestellung auf, die sich ergeben, wenn Geschwister die Betriebsnachfolge gemeinsam antreten.
Autor: Clemens Westreicher
Liebes Tagebuch. Die Überraschung war groß, als ich letzte Woche Jakob, ein Freund aus der Volkschule, in unserem kleinen Dorf antraf. Bei einem gemeinsamen Kaffee schilderte er mir lebhaft seinen Werdegang mit verschiedenen Stationen in der internationalen Kettenhotellerie. Mich interessierten insbesondere seine aktuellen Herausforderungen als Geschäftsführer eines Hotels in Asien, dessen Namen ich leider vergaß. Umso größer war die Überraschung, als Jakob mir den Grund seines Aufenthaltes in der Heimat mitteilte. Seine Mutter wünsche, dass er und seine ältere Schwester sowie sein jüngerer Bruder zusammen das elterliche Hotel übernähmen. Er bat mich um einen Erfahrungsaustausch, da er von seiner Mutter hörte, dass die Übergabe in meiner Familie so gut gelaufen sei.
Schon gestern trafen sich Jakob und ich zum Abendessen. Beim Aperitif fragte er mich, wie ich es einschätzte, dass drei Geschwister gemeinsam ein in die Jahre gekommenes Ferienhotel mit 50 Zimmer und einem À-la-carte-Restaurant übernehmen.
Um diese schwierige Frage zu beantworten, rief ich mir das Modell in Erinnerung, das damals unser Übergabeberater mir und meiner Familie immer wieder bewusst machte. Ich empfahl Jakob daher, die Frage aus drei Perspektiven zu betrachten, nämlich aus der Perspektive der Familie, der Unternehmensführung und des Eigentums.
Ein Unternehmen mit den Geschwistern gründen
Bevor ich Jakob mehr zu den drei Perspektiven erzählte, stellte ich ihm die aus meiner Sicht zentrale Frage: Würdet ihr drei zusammen ein Unternehmen gründen? Jakob antwortete wie aus der Pistole geschossen, dass dies seit dem Sandkasten schon immer das Ziel gewesen sei. Nur leider verliefen die Lebenswege nicht so, dass dies bisher möglich gewesen sei. Und nun böte sich mit der gemeinsamen Übernahme des elterlichen Hotels endlich die Gelegenheit dazu. Auf meine Anschlussfrage, wie die Wertestruktur seiner Schwester und seines Bruders sowie seine eigene sei, meinte er, dass sich jene seiner Geschwister stärker ähnelten.
Unabhängig davon hielt Jakob fest, dass sich in den ersten und, wie er sichtlich betonte, guten Gesprächen mit seinen Geschwistern ein gemeinsames, klares Zukunftsbild für das Hotel abzeichne. Und dass alle drei den Weg dorthin gemeinsam erarbeiten wollen.
Von der Alleinentscheiderin zum Geschwisterteam
Aufgrund seiner starken Betonung der Gemeinsamkeit, erzählte ich ihm meine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit meinen Bruder und meiner Schwägerin. Als Beispiel führte ich meine Erfahrungen im Rahmen der Neuausrichtung unseres À-la-carte-Restaurants aus. Dabei betonte ich ausdrücklich, dass er sehr gut wisse, dass sowohl mein Bruder als auch meine Schwägerin nur – nur unter Anführungszeichen – Mitarbeitende seien und dass ich als Alleineigentümerin grundsätzlich die Entscheidungen treffe.
Schmunzelnd erwiderte Jakob, dass er als Mitarbeiter in der Kettenhotellerie zum Teil schmerzhaft lernen musste, dass er nicht einfach bestimmen könne. So wie seine Mutter oder ich als Alleineigentümerin. Vielmehr habe er seine Ideen u.a. im Rahmen von konzernweiten Zielvorgaben und in vorgegebenen Strukturen durchsetzen müssen. In dieser Sache vermute er, dass er und seine Geschwister sich noch finden müssen. Nämlich in den Fragen: Wie wollen wir zukünftig unser Hotel steuern und wie entscheiden wir? Und was tun wir, wenn wir uns einmal nicht einig sind?
In diesem Zusammenhang erwähnte Jakob, dass sie sich alle drei bewusst seien, dass nicht jede und jeder alles machen können. So wie es zum Teil heute Gang und gäbe sei. Allen drei schwebe vor, dass die zukünftige Verteilung der Aufgaben und der Verantwortung eindeutig geregelt werde und idealerweise mit den persönlichen Vorlieben und Stärken abgestimmt sei.
Und kurz bevor wir das köstliche Dessert erhielten, fasste er zusammen, dass an all diesen Themen gut ersichtliche werde, wie wichtig das gemeinsam getragene Zukunftsbild sei. Dann nahezu alle Themen ließen sich davon ableiten und weiterentwickeln, wie z.B. die Führungs- und Organisationsstruktur des Hotels und die Investitionen in die Hardware und Software. Nachdenklich fügte er hinzu: Nicht zuletzt auch der persönliche Entwicklungspfad jedes einzelnen Geschwister und des Geschwister-Teams als Ganzes.
Aufteilung von Eigentum und Geschäftsführung
Aufgrund der Euphorie von Jakob überlegte ich zweimal, ob ich ihn fragen solle, wie denn seine Mutter zu all den Veränderungsvorhaben stehe. Und ob die drei mit ihr diesbezüglich schon gesprochen hätten?
Zudem fiel mir auf, dass Jakob bis jetzt mit keiner Silbe die Eigentumsverhältnisse erwähnte. Soll jeder von ihnen ein Drittel erhalten? Und wie würden Jakob und seine Geschwister vorgehen, falls zu einem späteren Zeitpunkt jemand aus dem Hotel aussteigen wolle? Und wie wollen die drei vorgehen, wenn eines ihrer Kinder künftig Anspruch auf die Geschäftsführung erhebt?
Als ob Jakob meine Gedanken lesen konnte, fragte er beim Espresso, wie ich denn das mit den drei Perspektiven eingangs meinte. Ich sagte ihm, dass ich den Eindruck gewann, dass er und seine Geschwister bezüglich Unternehmensführung, der ersten Perspektive, schon sehr viel überlegt hätten. Dass aus meiner Meinung die zweite Perspektive, nämlich das Eigentum und was damit verbunden sei, in einer der nächsten Geschwisterrunden zwingend abgestimmt werden müsse. Ohne zu vergessen, die Mutter mit einzubeziehen. Auf seine Frage, was beim Eigentum als hauptsächlich kritisch anzusehen sei, nannte ich ihm die Auswahl, Entlohnung und Kontrolle der Geschäftsführung, Reinvestition und Entnahmen bzw. Ausschüttungen, Anteilsübertragung und Nachfolgelösung, Umgang mit Angeheirateten und Maßnahmen der Konfliktprävention.
Familie und Unternehmen
Auf dem Nachhauseweg erzählte ich ihm schließlich, wie wichtig die dritte Perspektive sei, nämlich die Familie. Bei einer Übernahme des Hotels zu dritt, sei ein besonderer Schwerpunkt auf die aktive Pflege der Großfamilie und des Familiensinns zu legen. Denn ich sehe es im eigenen Betrieb. Mein Bruder und seine Familie sowie ich mit meiner Familie sind Familie und Arbeitskräfte für das Hotel. Aber wenn wir uns nicht vertragen, kann dies schnell für das Hotel und den Familienzusammenhalt gefährlich werden.
Liebes Tagebuch. Es ist wieder spät geworden. Ich würde mich für Jakobs Familie und auch für ihn freuen, wenn ihr Zukunftsbild bald Realität wird. Was mich besonders freut, ist, dass Jakob bei der Verabschiedung meinte, dass er sich wünsche, den Erfahrungsaustausch fortzusetzen. Und er sei sich sicher, dass nach der erfolgten Übergabe weitere spannende Fragestellungen zur Führung von Hotel und Familie auf uns warten würden.
Der nebenstehende Artikel erschien in der Printausgabe von hotel und touristik essenz 03/23 und kann hier heruntergeladen werden.
Die frühere H&T Nachfolgeserie „Wie bringe ich das alles unter einen Hut?“ finden Sie hier